„Das ist eine tolle Ressource, die einfach noch nicht erkannt wird.“ – Horizont

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Berufsausbildungen gibt es in vielen Bereichen. Doch wie findet man die richtige? Wie kann man sich informieren? Und wie läuft die Bewerbung? Bei diesen und vielen anderen Fragen beraten Jugendmigrationsdienste. Wir haben den Jugendmigrationsdienst in Chemnitz besucht und mit Isabel Knoch und Rafah Ahmad über Beratungen, Berufsausbildungen und unentdeckte Ressourcen gesprochen.

Isabel Knoch (rechts) in einer Beratung im Jugendmigrationsdienst Chemnitz.

Jugendmigrationsdienste (JMD) beraten Menschen mit Migrationshintergrund im Alter zwischen 12 und 27 Jahren. Das ist das vom Sozialgesetz definierte Jugendalter in Deutschland. Wer älter als 27 Jahre ist, kann die
Migrationsberatung für Erwachsene
in Anspruch nehmen. Die Beratung richtet sich hauptsächlich an Menschen mit einem regulären Aufenthaltstitel. Also Aufenthaltstitel, die zu längeren Aufenthalten in Deutschland berechtigen und langfristig auf Integration ausgelegt sind. Auch BürgerInnen aus der Europäischen Union können die Beratung des JMDs in Anspruch nehmen.Gibt es noch keinen Aufenthaltstitel, ist zum Beispiel die Soziale Beratung für Flüchtlinge ein wichtiger Ansprechpartner.

Menschen mit einer Duldung oder Aufenthaltsgestattung werden aber auch beim JMD in Chemnitz nicht zurückgewiesen: „Personen, die diese Aufenthaltstitel haben, kommen trotzdem hier an und werden natürlich nicht weggeschickt. Wir kommunizieren dann mit den Sozialbetreuern und versuchen die Leute an die richtige Stelle zu vermitteln. Wenn manchmal die Kommunikation gar nicht funktioniert, dann bleiben sie auch bei uns.“, so Isabel Knoch, Migrationsberaterin im JMD Chemnitz.

Die Mehrheit der Menschen, die die Beratung in Anspruch nehmen, kommt aus Syrien und Afghanistan. Aber auch Menschen aus Pakistan, dem Irak, Eritrea und Somalia lassen sich im JMD beraten. Wer noch nicht so gut Deutsch spricht, kann sich auch auf Arabisch, Persisch, Paschtu, Dari, Russisch, Englisch oder Französisch beraten lassen.

In der Beratung geht es meistens erst einmal darum zuzuhören, Wünsche und Bedarfe herauszufinden. „Meistens haben die KlientInnen schon irgendwelche Dinge dabei, weil sie ja mit einer Motivation herkommen. Dann höre ich zu und versuche eine Vertrauensbasis zu schaffen. Damit die Leute verstehen, wer wir sind. Wir sind kein Amt, wir sind keine Behörde. Also grundsätzlich niemand, der irgendetwas von ihnen will. Klar geht es auch darum, dass jeder ein bisschen an den gemeinsam vereinbarten Zielen arbeitet – also ich als Beraterin, aber auch die KlientInnen. Sonst funktioniert das alles nicht.“, so Isabel Knoch.

Die Anliegen der Menschen sind verschieden. „Das reicht von Problemen in der Familie, über Ausbildungssuche, Formulare ausfüllen, Kommunikationsschwierigkeiten mit Ämtern und Behörden, Fragen zum Arbeitsvertrag oder Handyvertragskündigungen. Also eigentlich alles was einem so im Alltag begegnet.“, erklärt Isabel Knoch. Auch der Freizeitbereich ist immer wieder Thema: „Nach fünf Jahren des Ankommens in einem Land geht es darum, wie kann ich mich sozial integrieren. Was kann ich in meiner Freizeit machen? Schwimmen, Angelsport, da gibt es alles Mögliche, was die Leute gerne machen wollen.“ Manchmal geht es auch darum Missverständnisse zwischen Ämtern und KlientInnen aufzuklären, wobei die BeraterInnen des JMD als MediatorInnen arbeiten. Viele KlientInnen kommen über Jahre in die Beratungen, weil ein Vertrauensverhältnis zu den BeraterInnen aufgebaut wurde.

Auch während der Corona-Pandemie finden Beratungen statt. „Wir machen ganz viele Telefon- und Emailberatungen. Das ist auch gut, da die KlientInnen nicht wegen jeder Kleinigkeit herkommen müssen.“, so Isabel Knoch. Problematisch sei es allerdings, wenn Jugendliche kein Handy-Guthaben oder Internet haben. „Deswegen muss für eine persönliche Beratung trotzdem immer eine Anlaufstelle da sein.“ Wer weder persönlich noch telefonisch beraten werden möchte, kann sich auch über die
Webseite des Jugendmigrationsdienstes
durch verschlüsselte Emailberatung an den JMD Chemnitz wenden.

Auch Rafah Ahmad ist Klientin im JMD. Sie ist 22 Jahre alt und seit 2017 in Deutschland. In Syrien studierte sie bereits zwei Jahre Computer Engineering, ab April 2021 möchte sie in Deutschland Informatik studieren. Mit diesem Wunsch kam sie vor zwei Jahren in die Beratung des Jugendmigrationsdienstes in Chemnitz, seitdem wurde ihr schon viel geholfen. „Die Beraterin hat mir zum Beispiel einen Studiengang in Mittweida gezeigt und erklärt, wie ich mich bewerben soll. Sie hat mir auch geholfen, komplizierte Formulare auszufüllen und mit der Ausländerbehörde geschrieben. Außerdem hat sie mir einen Termin mit einem Berater in der Uni Leipzig ausgemacht, damit ich weiß, wie man sich an der Uni bewerben kann.“  Bis zu ihrem Studienbeginn möchte Rafah Ahmad arbeiten. Auch bei der Arbeitsuche und beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen halfen ihr MitarbeiterInnen des JMDs.

Ähnlich wie Rafah Ahmad geht es vielen KlientInnen. „Es geht vermehrt um Berufsfindung, weil viele der Jugendlichen ein bisschen älter geworden sind. Die stellen sich jetzt Fragen wie ‚Was will ich denn eigentlich in meinem Leben?‘ ‚Worauf habe ich Lust?‘“, erklärt Isabel Knoch. Auch bei der beruflichen Orientierung und der Suche nach Ausbildungsplätzen helfen die BeraterInnen des JMD. „Wir schauen gemeinsam nach Ausbildungsstellen, nach Interessen, suchen online in den diversen Jobbörsen. Da gibt es zum Beispiel die Webseite der IHK, der HWK oder eben die Jobbörse der Agentur für Arbeit. Dann geht es ganz konkret darum Firmen anzurufen.“ Das sei oftmals schon die erste Hürde, da nicht jeder gute Erfahrungen mit Firmen macht. Nach der beruflichen Orientierung helfen die BeraterInnen auch im Bewerbungsprozess. Sie zeigen KlientInnen wie eine Bewerbung aussieht, wie man Anschreiben und Lebenslauf schreibt. „Wir legen den Fokus auf Kompetenzen. Was können die Leute schon? Manche haben jetzt vielleicht keinen klassischen Bildungsweg mit 12 Jahren Schule und Abitur absolviert, aber es geht um die Kompetenzen, die man im Leben lernt. Allein sich in einem anderen Land zurechtfinden. Das ist eine tolle Ressource, die einfach noch nicht erkannt wird. Vor allem bei Jugendlichen, die allein hierhergekommen sind. Sie sind für sich selbst verantwortlich, organisieren ihr Leben und das schon mit 14 oder 15 Jahren.“

Um sich für einen Ausbildungsplatz zu bewerben, muss das Landesamt für Schule und Bildung den ausländischen Schulabschluss anerkennen. Außerdem müssen Deutschkenntnisse auf Niveau B2 nachgewiesen werden und ein Aufenthaltstitel vorliegen. Wer sich vorab schonmal orientieren und informieren will, kann verschiedene Ausbildungsmessen in Chemnitz besuchen (aktuelle Termine s.u.) oder das
Berufsinformationszentrum
der Arbeitsagentur besuchen. Auch die Webseite
berufe.net
hilft bei der Orientierung. Hier kann man sich Videos zu den verschiedenen Ausbildungsberufen ansehen und so schonmal eine Vorstellung von der Praxis bekommen. Geht es dann um die konkrete Ausbildungsplatzsuche, hilft der jährliche Ausbildungsatlas der IHK mit Adressen von Firmen sowie verschiedene Jobbörsen.

Um an einen Ausbildungsplatz zu kommen, empfiehlt Isabel Knoch sich persönlich vorzustellen: „Das aktive Selbstsuchen macht einen großen Unterschied. Die Leute, die herkommen sind oft ganz offene, engagierte junge Leute, die Lust haben auf eine vielversprechende berufliche Zukunft. Das einer Firma erstmal persönlich zu zeigen, ist immer besser.“ Auch ein Praktikum oder ein freiwilliges Jahr sei für viele Berufe sinnvoll: „Das ist eine super gute Einstiegschance, vor allem im Krankenhaus, in Kitas und im Pflegebereich. Danach hat man schon gesehen, wie der Beruf ist, man hat die Leute kennengelernt und es ist auch kein verschenktes Jahr.“ Praktika sollten vorab allerdings immer mit dem Jobcenter abgesprochen werden. Besonders wichtig ist es außerdem rechtzeitig nach einem Ausbildungsplatz zu suchen. Am besten beginnt man bereits ein dreiviertel Jahr vor Ausbildungsbeginn, denn viele Ausbildungsstätten haben einen frühzeitigen Bewerbungsschluss. Für schulische Ausbildungen fällt der Bewerbungsschluss immer auf den 31. März des laufenden Jahres, für betriebliche Ausbildungen zum Teil schon auf den 30. Oktober des Vorjahres.

Aktuelle Termine zu Ausbildungsmessen 2021:
Ausbildungsmesse „
mach was
!“
27./ 28. Februar 2021
Messe Chemnitz

Jugendmigrationsdienst
Wiesenstraße 10
09111 Chemnitz
E-Mail
jmd@awo-chemnitz.de
Tel. 0371 67426-12 (-11 -13 -16)
Fax: 0371 67426-33
Sprechzeiten gibt es momentan nur nach Vereinbarung

URL: https://web.archive.org/web/20210423144211/https://www.horizontmagazin.de/2020/11/der-weg-zurueck-in-die-hoelle/


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