Content:
Im vorigen Artikel haben wir die Rolle polnischer Frauen besprochen. Dann wurde am 20. Oktober ein neues Abtreibungsgesetz verabschiedet, welches de facto Abtreibungen verbietet – schlimmer kann es kaum werden. Auch im letzten Teil meiner Artikelreihe gibt es wenig Positives zu verkünden. Ich beschäftige mich mit einer marginalisierten Gruppe in Polen, die in den letzten Jahren immer mehr Anfeindungen erleiden musste – der LGBT+ Community.
Proteste gegen die Regierung am 30. Oktober in Warschau. Auf dem Schild steht: „Der Hexer beschützt die Frauen vor den Monstern“. Dies ist eine Anspielung auf die Bücher Andrzej Sapkowski, die Grundlage für das Computerspiel „The Witcher“ und die gleichnamige Netflix-Produktion sind. Foto: Marcin Bylica
„Pedał“ bedeutet in polnischer Sprache zwei Dinge: zum einen ist es ein Pedal beim Fahrrad und zum anderen eine beleidigende Beschreibung für einen schwulen Mann. Es ist auch ein Wort, das ich schon als Kind oft gehört habe, da meine gesamte Familie, trotz eines homosexuellen Familienmitglieds, damit um sich geschmissen hat und das nie in einem positiven Sinne. Es war schon immer „normal“, dass man darüber diskutierte, dass Homosexualität ja eine psychische Krankheit sei. Schwul sein wurde nur toleriert, weil man die Person ja „liebt“ und sie aber „eigentlich in die Psychiatrie müsste“.
Wenn man als Frau den Standards nicht entspricht und gar eine Feministin ist, wird man sofort für lesbisch erklärt. Wenn man sich Interviews mit Polinnen zum Thema Homosexualität anschaut, wird oft das Argument „unnatürlich“ oder „eklig“ benutzt. Eine Ehe eigne sich nur für eine Frau und einen Mann und das solle in dem katholischen Polen auch so bleiben. Mein „Lieblingsaussage“ ist: „Sollen sie machen, aber ich will es nicht sehen“.
Am 16. Februar 2020 bekam Jarosław Kaczynski, ein PiS Politiker, den Titel „Mensch des Jahres 2019“ von der rechtsorientierten Zeitung Gazeta Polska. Gesponsert wurde die Gala von Piwiarnia Polska, die z.B. für den Vertrieb des polnischen Biers Tyskie verantwortlich ist. Warum erwähne ich diese Tatsache? Gazeta Polska druckt und legt regelmäßig Sticker in ihre Zeitungen – unter anderem mit dem Motiv „LGBT-freie Zone“. Sie sind vor allem an lokalen Supermärkten in vielen Städten im Südosten Polens und an den unzähligen Kirchen zu finden. Die Sticker sollen zeigen, dass Menschen, die zu dieser Community gehören, in diesen Läden nicht willkommen sind. Dies erinnert mich an die Zeiten der Nationalsozialisten als man noch „Juden sind hier nicht willkommen“ Plakate an den Türen fand.
LGBT-freie Zonen in Polen. Quelle: Wikipedia
Bist du in einer LGBT-freien Zone gelandet, ist es möglich, dass du verprügelt, beschimpft oder gar verhaftet wirst, wenn du nicht „normal“ wirkst. In der Regel wird bei der Polizei keine Anzeige eingehen, da du weißt, dass es nichts bringen wird. Die Sticker und die LGBT-freien Zonen führten zu großer Aufregung im Europäischen Parlament. Am 18. Dezember 2019 stimmte es mit 463 zu 107 Stimmen für eine Beendigung dieser Zonen. Außerdem wurden vielen polnischen Gemeinden die Fördergelder gestrichen und viele Partnerschaften zwischen Städten aufgelöst.
Aber wieso kommt es zu so einem Hass gegen die Community? Der Bürgermeister von Warschau unterschrieb im Februar 2019 eine Verordnung, dass die Kinder in Warschauer Schulen in Sexualkunde, die überwiegend durch die katholische Kirche unterrichtet wird, auch über die LGBT Community lernen sollen. Der Aufschrei in der PiS Partei war groß. Die Kinder würden sexualisiert und liberalisiert. Angst vor sinkenden Kirchenbesuchen wurde groß und vor allem, dass die Priester den Unterricht nicht führen können, denn in Polen hat man nicht Sexualkunde als Fach, sondern „Vorbereitung aufs Familienleben“. Generell lernst du dort, wie du dich als guter Ehemann oder Ehefrau verhalten sollst. „Moderne“ Familienstrukturen würden die Idylle zerstören. Abgesehen davon ist es in Polen als homosexuelles Pärchen in Polen verboten zu heiraten oder gar Kinder zu adoptieren. Darum wurde diskutiert, ob Sexualkunde in Polen ganz abgeschafft werden soll, was zu Unruhen im europäischen Parlament führte.
Um sich von der jetzigen Situation in Polen zu distanzieren, erklärte Pabst Franziskus am 21.Oktober 2020, dass er jeden im „Haus Gottes“ willkommen heißt und wir alle „Kinder Gottes sind, egal ob schwul, lesbisch oder wie sich jemand definieren möchte“. Somit entsteht ein Problem: die ganze Ideologie in Polen ergibt mit einem Schlag keinen Sinn mehr. Die PolitikerInnen können die Kirche nicht mehr als Erklärung vorschieben.
Worüber auch keiner redet, ist die Tatsache, dass die meisten Priester in der katholischen Kirche entweder insgeheim schwul sind oder eine Familie haben (fun fact: mein Bruder war mit dem Kind des Bischofs in einer Klasse, ich auch). 2019 haben die Siekelski Brüder in einem Dokumentarfilm die bekanntesten Priester Polens als pädophile Vergewaltiger geoutet, die meisten Opfer sind kleine Jungs gewesen. Die polnischen Gerichte haben es den Gerichten der katholischen Kirche überlassen sich mit diesen Tatsachen auseinanderzusetzen. Die haben sich dazu entschieden die Priester einfach in eine neue Gemeinde zu stecken. Nachdem der Film online hochgeladen wurde, haben die PolitikerInnen ihn als „Angriff auf Kirche und Polen“ erklärt. Erst nach den Skandalaufdeckungen haben sie gehandelt und es kam zu den ersten Prozessen gegen die Täter. Nach einer Untersuchung des John Rays Reports sind 80,9% der Opfer Jungs. Den Kindern wird oftmals nicht zugehört und nicht geglaubt.
Bevor ich diesen Text geschrieben habe, telefonierte ich mit meinem Bruder und mal wieder haben wir über Politik diskutiert. Er schilderte mir, dass er ja kein Problem mit den „Pedały“ habe, aber die sollten uns ihre Ideologie nicht aufzwingen. Auch die Kinder in den Schulen sollten es natürlich nicht wissen, denn es sei doch zu früh und die kämen sonst auf dumme Ideen. Es sei jeder gefühlt anders und jeder gehöre zu LGBT Community. Außerdem sei es ein Wunder, dass ich nicht lesbisch sei. Homosexuelle sollten machen, aber hinter geschlossenen Türen, er müsse es ja nicht sehen. Er sei aber nicht homophob, weil er einen schwulen Freund habe und der sei derselben Meinung wie er. Aber er sehe es auch nicht ein, dass er eine Transfrau mit „sie“ ansprechen solle. Für ihn sei sie keine Frau, weil sie als keine geboren wurde. Sein Sohn komme nie auf solche Ideen, er werde es ihm verbieten.
Ich glaube, um die Situation zu schildern, passt dieses Gespräch am besten. Es ist nicht möglich als Mitglied der LGBT Community ganz ohne Diskriminierung zu leben, auch nicht im Familienkreis.
Im Juli 2019 protestieren vor allem RentnerInnen gegen die aktuelle Regierungspolitik der PiS-Partei vor dem Regierungssitz in Warschau. Foto: Juna Janiszewska
Wie surreal das auch klingt, dies ist leider der Alltag vieler Menschen in Polen. Wenn du queer bist, musst du es entweder verstecken oder die Demütigung ertragen. Die neue Generation in Polen ist aber jung, weltoffen und kritisch. Sie sind es, die auf die Straße gehen und protestieren. Sie sind es, die mit Tränengas überfallen werden und die veraltete Politik nicht akzeptieren. Die Politik, die durch die Kirche und von alten weißen Männern geführt wird. Die polnische Bevölkerung ist gespalten und dies wird sich nicht so schnell ändern. Da die Population immer älter wird, müssen wir hoffen, dass die katholische Kirche den jungen Menschen unter die Arme greift und den Polen zeigt, dass Weltoffenheit gar nicht so schlimm ist und ihre veralteten Ansichten doch nicht so gut sind.
Leider neigt sich meine Serie dem Ende zu, aber wenn ihr euch mehr darüber informiert wollt, empfehle ich euch die Instagramseite von
@stonewall_poland
. Dort findet ihr alle Informationen auf Englisch, da viele Medien über Polen sonst eher unzureichend berichten. Jedes Mal, wenn ich das erzähle, was ich hier geschrieben habe, schauen mich Menschen mit großen Augen an, weil man es nie denken würde, da das Land ja so nah dran ist. Bitte informiert euch, unterschreibt Petitionen und schaut öfter rüber.
URL: https://web.archive.org/web/20220127175824/https://www.horizontmagazin.de/2021/02/journalismusinsyrien/
Leave a Reply