Nach der Revolution ist vor dem Alltag – Horizont

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Im April 2019 begannen im Sudan Aufstände gegen den langjährigen Diktator Umar Al-Bashir, nachdem sich viele Menchen Brot und Sprit nicht mehr leisten konnten. Neben den Frauen spielten vor allem Menschen aus dem medizinischen Sektor eine treibende Rolle beim Sturz des seit 1993 herrschenden Machthabers. Deshalb haben wir ein Interview mit Dr. Mohamed Hassan geführt, der als Arzt in der Hauptstadt Khartum lebt und arbeitet. Er berichtete wie lang und schwer der Weg zur Demokratie ist.

In Europa verbinden die Menschen den Sudan immer noch mit Al-Bashir, aber der Diktator musste nach Massenprotesten im Sommer 2019 zurücktreten. Was hat sich seitdem in den Regierungsstrukturen geändert?

Wir haben eine Übergangsregierung, die aus einem technokratischen Ministerkabinett unter der Leitung von Premierminister Abdalla Hamadok besteht. Sie arbeiten mit einer militärischen Komponente im Rahmen des so genannten Souveränitätsrats des Sudan zusammen. Dies ist der erste politische Wechsel von der Herrschaft eines Diktators weg, hin zu einem elf-köpfigen Souveränitätsrat. Zur Hälfte besteht dieser aus dem Militär und zur andere Hälfte aus Zivilisten. Es musste ein Kompromiss mit alten Generälen und Kriegsherren gefunden werden. Das ist keine perfekte Situation, aber ein Schritt in die richtige Richtung.

Khartoum im Jahr 2018: die ökonomische Krise formt langsam eine politische Protestbewegung. Foto: Dave Schmidtke

Wie anders ist das tägliche Leben jetzt? Gibt es (zum Beispiel) offenere politische Diskussionen/mehr Optionen für politische Teilhabe?

Die politische Atmosphäre ist definitiv leichter ohne den Griff des alten Regimes. Große Massen der Bevölkerung sind politisch und zivilgesellschaftlich aktiver geworden und sind es immer noch. Jeder spricht seine Meinung über die Leistungen der alten und neuen Regierung aus. Und so gibt es ein gestiegenes Bürgerrechtsbewusstsein. Für mich ist dies die beste Veränderung, die ich je erlebt habe, und ich spüre sie in meiner täglichen Arbeit.

Frauen spielten während der Revolution eine bedeutende Rolle. Haben sie jetzt auch mehr Macht im politischen Prozess? Oder profitieren sie auf andere Weise von der Revolution?

Trotz aller Hürden bleibt die sudanesische Frau ein integraler Bestandteil bei der Hilfe und der Lösung unserer kollektiven Probleme. Ihre Präsenz und ihr Handeln ist umso stärker, wenn die Bedingungen in meinem Land auf allen Ebenen härter werden. Zwei von elf Sitzen im Souveränitätsrat, der über die Hilfe für Flüchtlinge, die Unterstützung bei der Bekämpfung der Corona-Epidemie bis hin zum Warten auf Brot und Gas an der Seite der Männer ihres Landes ist ihre Rolle nicht geringer als die ihrer Kollegen.

Fernsehen, Radio und soziale Medien berichten über diesen bewussten Wandel. Sie ist definitiv positiv und gesund. Politische Korrektheit ist ein langwieriger Prozess, die Bewegung dazu wird durch das neue Bewusstsein der Massen gefördert.

Khartum wird als “Hauptstadt der Flüchtlinge” bezeichnet, weil dort viele MigrantInnen leben. Sehen Sie für sie und für andere arme Menschen eine Chance auf Veränderung durch die Revolution?

Es gibt noch keine Beweise dafür, und deshalb ist das alles im Moment nur Spekulation. Die Entschlossenheit und Präsenz der Menschen hat sich nicht geändert, aber ohne ein starkes Wirtschaftswachstum und ohne einen Beitrag zur Erhaltung des Friedens im ganzen Land, wird sich der Status vieler Flüchtlinge nicht ändern. Die Lage könnte sich vielleicht sogar, durch die anhaltende wirtschaftliche Depression, verschlechtern.

Hohe Gas- und Brotpreise waren der Grund für den Beginn der Proteste. Wie ist die wirtschaftliche Situation in diesen Tagen?

Leider verändert sich die Wirtschaft nicht im gleichen Muster, sonder ist sogar stark geschwächt. Die Wege für Brot und Treibstoff sind aus vielen Gründen länger und teurer geworden. Die Inflation steigt weiter an, und viele leiden unter den niedrigen Löhnen, aber die Bevölkerung ist noch geduldig. Wir verstehen, dass es nicht einfach ist, unter der neuen Regierung in ein paar Monaten Schäden einer Dauer von 30 Jahren zu beheben. Das ist die größte Herausforderung für die Regierung Hamadoks.
Menschen, die vom vorherigen Regime profitierten, gierige Politiker oder Geschäftsleute, Kriegsherren und ausländische Regierungen werden alle davon profitieren, wenn seine Regierung scheitert, einige könnten sogar einen Schritt weiter gehen und ihn sogar ermorden.
(Anmerkung Hrsg.: Anfang dieses Jahres gab es einen Versuch, den Premierminister Hamadok zu töten)

URL: https://web.archive.org/web/20211201061553/https://www.horizontmagazin.de/2020/04/nichts-ausser-unserem-fliessenden-blut-als-eine-sprache/


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