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Foto: Thaer Ayoub
Thaer Ayoub hat mit „Der verdammte Flüchtling“ (Palisander, 2020) einen Gedichtband veröffentlicht, der uns in den Sog des Syrien-Krieges zieht, die Vertreibung aus der Heimat erfahren lässt und in die tägliche Bewältigung des Exils spült.
Wenn
die Hand die Augen zu diesem Buch öffnet, ist es zunächst nur ein
Gedichtband. Aber mit dem ersten Lesen verbindet es uns aufs
Persönlichste mit einer Welt, in der gilt: Das Blühen einer Blume
der Hoffnung ist nur durch ihre pflanzliche Ignoranz möglich. Ihre
Wurzeln nehmen Nährstoffe auf – egal wie viel Blut in der Erde
floss. Ihre Blätter synthetisieren die Sonne – egal wie viel
Trümmerstaub und Klagelieder in der Luft lagen. Mit diesem Wissen
trotzdem zu blühen, als geknickte und mühsam aufgerichtete Blume,
ist die einzige Hoffnung, die es
wirklich
gibt in
dieser Welt.
Diese
Welt ist nicht die eines verdammten Flüchtlings. Es ist einfach
unsere heutige Welt. In ihr sieht die Realität so aus: »Michaal
besuchte den Friedhof, um seinen Kindern etwas zu singen, / wie er es
machte, bevor eine Bombe sie stahl. / Er wollte nicht davon überzeugt
sein, dass sie tot sind./ Sie schlafen, sagte er. / Meine Tränen
werden nicht / das Schweigen dieser komplizischen Welt brechen, /
sondern sie werden sie bald versinken lassen / oder sie werden sie
vielleicht / unter dem Licht des Rechtes bloßstellen, / damit sie
nicht fähig wird, vorm Gesicht der Wahrheit zu fliehen, / und Thaer,
den sie töteten, nachdem er / den Gefängniswärter und sein
Gefängnis bespuckte, / sagte vor der Befreiung seiner Seele: / Liebt
das Leben, aber hasst die Welt.«
Das
eben zitierte Gedicht aus dem Band heißt
Asylliteratur
und es würde vielleicht Weltliteratur heißen, wenn dieses Wort
nicht bereits vergeben wäre. Und das Sein im Asyl, im Exil, ohne
Heimat zeigt einen doppelten Boden, der unter jenem Boden liegt,
welcher dem Autor bereits unter den Füßen weggerissen wurde. Dieser
obere Boden ist der syrische Boden. Er reicht vom Fuß eines kleinen
Kindes, welcher aus den Trümmern der Häuser blickt und »[a]m Fuß
ein Schuh, / dessen Hälfte das Feuer der Geschosse fraß«; der
reicht vom Herz, das »zerbrach über dem Weinen eines Kindes, /
dessen Rettungsring seine Mutter entfernte, / damit das Meer es
schnell verschlinge und es nicht / das Salz, die Kälte, den Verlust
und die gefälschte Hoffnung erleide.«
Der
syrische Boden reicht auch vom Blick einer Frau in Deutschland, die
einen Geflohenen ansah, »[…] vielleicht als einen Teufel / oder
als etwas, das aus den
Mülltonnen kam«, ihrem Kind vorm Klogang etwas zuflüsterte und der
so Getroffene denkt: »Ich hörte nichts, aber ich wusste ja.« und
»[d]a hielt das Kind ihre Handtasche / mit seinen beiden Händen, /
um sie vor meinem mutmaßlichen Diebstahl / zu schützen. / Niemand
war mit mir, / um mein Herz / vor ihrem wahren Stich / zu schützen.«
–
von
überall dort reicht also der obere Boden her und wohin er reicht,
wann es genug ist, das fragt dieser Gedichtband
mich und uns
alle.
Darum die vielen Zitate: Ich kann es mir nicht besser gefragt
vorstellen. Es ist der von getrocknetem Blut harte Boden der
Tatsachen. Und es ist ein Boden, der Hoffnungen, Träume und das
Heldentum der Geflohenen in ihrer alltäglichen Normalität kennt und
diese Blüten auf geknickten, aber stolzen Hälsen in Thaers
Gedichten erkennen lässt.
Der
untere Boden dieses Buches ist älter. Er ist die Entwurzelung noch
vor der Revolution und Krieg in Syrien. Er ist aber genauso alt, weil
er den oberen Boden zu tragen und zu ertragen hat. Aus seiner Tiefe
lese ich, wie einer all das haut- und seelennah erleben und
überstehen konnte, was in diesen Gedichten niederschmetternd von
dieser Welt berichtet steht. Der Unterboden dieser Gedichte, ist die
poetische Leistung. Der Verlust der eigenen Heimat wird in einem
Fluss des Schreibens und Nacherleidens bis zu dem Punkt erlaufen, wo
die Quelle des Flusses fremd geworden ist, wo erkannt wird: Die
Fremdheit ist absolut, sie beginnt nicht mit der Flucht, sondern sie
vertieft sich dort. Der immer schon Fremde, der aus diesen Gedichten
spricht – und alle, die seine Fremdheit teilen, ansprechen kann –
braucht Musik, braucht Wein, braucht die Wärme der Frauen. Er klagt
an, aber er sammelt auch, was sich am Wegesrand an Schönheit zeigt.
In
Istanbul etwa: »Ich lief auf der Straße rauchend, / als eine
deutsche Touristin eine Zigarette von mir verlangte. / Als ich ihr
die Zigarette gab, küsste sie mich auf meine Wange. / Ich gab ihr
noch eine Zigarette, ohne dass sie sie verlangte,
/ damit sie mir noch einen Kuss zahlte.« Er baut ein Regenschirmdach
der Poesie, das vor Regen nicht schützen will. Ein kleines Stück
stehenden Himmels, unter dem sich gehen lässt ohne Gedrängel. Ein
Teil ist die Zugehörigkeit, die immer wieder ein „syrisches Wir“
sucht, aber in der Niederlage des Nicht-Findens vor sich selbst
landet.
Hier
entstehen Krümmungen, die sich nicht gerade zu biegen brauchen, weil
sie Bögen zum Schönen deuten. „Der verdammte Flüchtling“ ist
einer, der sich nicht dazu verdammen lassen will, Flüchtling zu
bleiben und sich als Exilant im Schönen beheimatet. Manchmal braucht
es das Schreiben in glasklarer Konkretheit und manchmal Bilder, die
sich drei-, viermal weiter biegen, in einer Sprache, die zwischen
Bericht und Abstraktion wechselt.
Es folgt ein Gedicht aus dem Werk Ayoubs:
Im
Stadtteil »Ebersdorf«
Die
Kälte hat einen köstlichen Geruch,
der
voller Reinheit, Heiterkeit und Wärme ist
und
der das Herz mit der Reife missioniert.
Die
Schönheit ebnet ihre Macht auf alles
und
überflutet den Ort und die Seele
und
es kann sein, dass die Sonne,
auch
wenn nur für eine Stunde, erscheint.
Dann
nutze ich jede vergehende Sekunde,
das
Licht zu umarmen,
dann
hat das Rauchen eine Euphorie und einen Genuss
und
nehmen meine Augen ihre ganze Chance wahr,
ins
Geheimnis der Natur und der Zeit einzutreten.
Bald
wird es schneien, also ich werde bald lieben.
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